Eine Sache der Wahrnehmung

Differenzieren können oder Eintrainieren?

Neue Inhalte kennenlernen bewirkt nicht zwangsläufig Lerngewinne – sofern man Dazulernen als Erweiterung des Handlungsspektrums und nicht allein in der Vergrößerung der Wissenssbasis versteht. Gemeint ist also die Verarbeitung von Lerninhalten und deren Transfer in konkretes Handeln. Früher sagten wir einfach „Kennen ist nicht Können“. Wenn auch für viele Verantwortliche … … in Unternhemen eine unbefriedigende, aber gleichwohl für Menschen, die sich mit dem Thema „Weiterbildung“ beschäftigen, schlichte Weisheit.

Tatsächlich hat dies eine noch wesentlich tiefere Bedeutung, wenn man darauf fokussiert, wann ein Lernzuwachs wirksam wird. Immer wieder erlebt man nämlich Lernkunden, die ganz klar neue Zusammenhänge aufnehmen und verstehen (scheinbar) und dann doch im alten Verhalten verharren!

Wie ist das zu erklären? Fehlender Mut? Skepsis? Widerstand?

Nun, davon mag es sicher auch immer mal Anteile geben. Da aber auch überzeugte und engagierte Mitarbeiter solche Phänomene zeigen, muss es noch andere mögliche Ursachen geben! Diese Vermutung drängt sich um so mehr auf, wenn die Betroffenen maßgeblich an Inhalt und Konzeption der Lerninhalte mitgewirkt haben. Dann stellt sich mitunter die Frage, ob die gar nicht sehen, dass sie etwas ganz anderes machen, als sie selber konzipiert haben?

Und? Genau so ist es – sie sehen es nicht!

An dieser Stelle gibt es einen blinden Fleck, der verhindert, das bisherige Verhalten mit dem gewünschten neuen Verhalten zu vergleichen. Die Differenz kann nicht wahrgenommen werden. Häufig fehlt sogar schon ein klares Bild des bisherigen Verhaltens – und wenn das IST schon nicht erkannt wird, kann das Soll erst recht nicht konkret werden.

Dies könnte dem video-gestütztes Lernen eine Lanze brechen – wenn dadurch bei jedem Lernenden die Wahrnehmungsfähigkeit geweckt werden könnte. Dies geschieht jedoch nicht oder nur bei einigen Lernenden. Viele Menschen erleben statt dessen Befremdungseffekte, die sich eher „verschließend“ als öffnend auswirken. Auch bleibt eine solche Aufzeichnung lediglich punktuell und wenig transferfähig, lernt doch der Betroffene dadurch nicht, sich selbst zu reflektieren! Gerade darin aber liegt selbstständiges Lernen und damit der Garant für nachhaltige Entwicklung begründet.

Also, wie soll der effektive Lernzuwachs dann hergestellt werden?

Zunächst einmal muss geprüft werden, an welcher Stufe der Lernkompetenz sich der Lernende befindet. Kann er Verhalten analysieren und Unterschiede differenzieren? Dann kann er es auch steuern und modulieren. Fällt es ihm dagegen schwer, aus Gewohnheiten auszusteigen, dann wird er weder sein bisheriges Verhalten gezielt lenken können, noch neue Verhaltenselemente selbstständig geplant einführen können. Es fehlen die Einsatzpunkte, wann welcher Verhaltensbestandteil genutzt werden soll.

Während also der eine Mitarbeiter (selbst-) beobachtend eigenständig Veränderungen einführen, ausprobieren und einüben kann, wird es dem anderen Mitarbeiter eher helfen, sich eine vollständige Strategie anzutrainieren und sich auf dem Weg – sozusagen mit dem inneren Auge – den neuen Weg zu erschließen. Bei ihm wird die Freiheit, sich bevorzugte Teilelemente nach eigenen Vorstellungen anzueignen meist dazu führen, dass nur Fragmente integriert werden, die dann überwiegend der alten Strategie dienen. Neuer Wein in alten Schläuchen…

Hier kommt ein Unternehmen nicht mit dem Laissez-Faire Führungs- und Entwicklungsstil weiter. Zu glauben (oder zu hoffen), es bräuchte nur ein wenig mehr Entwicklungszeit, ist nicht zielführend. Tatsächlich müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen die neuen Verhaltensweisen wiederholt eintrainiert und damit bewusst wahrnehmbar gemacht werden – so lange, bis sie internalisiert wurden. Nur durch die intensive Einübung des neuen Verhaltens kann das alte Vorgehen verdrängt werden und eine Wahrnehmungsfähigkeit entwickelt werden.

Zusammengefasst:

  • Selbstständigkeit und Beteiligung am Entwurf neuer Handlungsstrategien fördert die Zustimmung und das Verständnis
  • Abhängig von der Umsetzung ist aber zudem die Fähigkeit, Verhaltensabläufe analytisch wahrnehmen zu können
  • Fehlt diese Wahrnehmung, braucht es intensiv eintrainierte Abläufe, um die alte Verhaltensstrategie konstruktiv zu entlernen – und der Unterschied wird über das wiederholte Erleben erkennbar.