Signifikantes Lernen

Carl Rogers: „Lernen in Freiheit“

  • Der Mensch besitzt ein natürliches Potential zum Lernen.
  • Signifikantes Lernen findet statt, wenn der Lerninhalt vom Lernenden als für seine eigenen Zwecke relevant wahrgenommen wird.
  • Lernen, das (in der Vorstellung des Lernenden) eine Veränderung in der Organisation des Selbst einschließt, wird als bedrohlich empfunden – Widerstand wird hervorgerufen Solche Lernprozesse, die für das Selbst bedrohlich sind, werden leichter vollzogen, wenn die äußeren Bedrohungen minimal sind.
  • Wenn die Bedrohung des Selbst gering ist, kann eigene Erfahrung in differenzierter Weise wahrgenommen werden ~ Fortschritt im Lernprozess
  • Signifikantes Lernen wird oft mit Tun erreicht.
  • Lernen wird gefordert, wenn der Lernende den Lernprozess verantwortlich mitbestimmt.
  • Selbstinitiiertes Lernen (Kopf, Herz und Hand müssen mit einbezogen sein!) ist am eindringlichsten und die Ergebnisse sind am dauerhaftesten.
  • Unabhängigkeit, Kreativität und Selbstvertrauen werden gefördert, wenn Selbstkritik und Selbstbeurteilung anstelle von Fremdbewertung im Vordergrund stehen.
  • Lernen als Prozess wird den Anforderungen der modernen Welt in höherem Maße gerecht als Anhäufung statischen Wissens, ständige Verarbeitung von Erfahrungen und Wandlungsprozessen.
  • Aufgaben des Lernhelfers bei der Lernförderung
  • Der Lernhelfer ist dafür zuständig, ein Klima zu schaffen, das dem Lernen förderlich ist.
  • Er hilft, die Ziele der einzelnen Gruppenmitglieder und die allgemeinen Absichten der Gruppe (Klasse) ans Licht zu bringen und abzuklären.
  • Darauf vertrauen, dass jeder Lernende wünscht, solche Vorhaben durchzuführen, die für ihn Sinn haben. Gerade hierin liegt die motivierende Kraft signifikanten Lernens. Ein möglichst breites Angebot von Hilfsquellen für das Lernen zu organisieren und leicht verfügbar zu machen.
  • Selbstverständnis des Lernhelfers: Flexibles Hilfsmittel, das die Lerngruppe nutzen kann. Als Feedback akzeptiert L. sowohl intellektuelle als auch emotionsgeladene Stellungnahmen. Dabei sollte der Lernhelfer sich darum bemühen, dass nicht einzelne Mitglieder der Lerngruppe von wortgewaltigeren Lernkollegen an die Wand gespielt werden.
  • Wenn eine stabile Atmosphäre gegenseitiger Anerkennung gewachsen ist, kann sich der Lernhelfer weitgehend auf Moderatorenrolle beschränken und als gleichberechtigter Diskussionspartner wirken.
  • Sich selbst (Gefühle, Gedanken) der Gruppe mitteilen, ohne damit zu fordern oder aufzudrängen.
  • Hellhörig gegenüber Äußerungen sein, die auf tiefe oder starke Gefühle hinweisen.
  • Sich als Lernhelfer bemühen, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren.

In Anbetracht der sich wandelnden Qualifikationsanforderungen auf den Arbeitsmärkten sowie den Individualisierungstendenzen in unserer Gesellschaft, die von den einzelnen Menschen Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit erwarten, müssen die überlieferten Modelle einer vorauseilender, auf die Zukunft bezogenen selektierenden Bildung und Qualifizierung zunehmend aufgegeben werden. Immer deutlicher zeichnet sich die Notwendigkeit einer anderen Lernkultur ab. Es geht nicht mehr in erster Linie darum, das einzelne Individuum vorbereitend an den gesellschaftlichen Wandel anzupassen, es muss vielmehr verstärkt darum gehen, die qualifikatorischen Vorraussetzungen für eine Wandlungsfähigkeit des Subjekts zu entwickeln und zu fördern.

Drei Thesen zum Wandel der Lernkulturen
1. Nicht nur das „Was?“, d.h. der Inhalt bzw. Lehrplan, sondern auch das „Wie?“ von Lernen prägt die Lernresultate. Neben der Inhaltsfrage gewinnen die Gestaltung der Lernumgebung sowie die lernförderliche Inszenierung des Unterrichts (methodisches Setting) an Bedeutung.
Entscheidend ist das Wohin!
2. Der „Heimliche Lernplan“ – das implizite Lernen – beeinflusst in starkem Maß das Lehr-Lern-Geschehen und somit das, was gelernt wird. Durch die bewusste Gestaltung des Kommunikations- und Interaktionsverhaltens im Unterricht kann eine Gesprächskultur geprägt werden, die den Erwerb von personalen und sozialen Kompetenzen unterstützt.
3. Durch die Illusion der ‚Machbarkeit‘ von Lernen werden die Aneignungsaktivitäten der Lernenden eher behindert als gefördert. Notwendig ist der Wandel von einer objektiven Instruktionstheorie hin zu einer subjektiven Aneignungstheorie des Lernens.

Die vertraute, mechanistische Beschränkung auf die sichtbaren und zu handhabenden Faktoren, d.h. auf die Erzeugungsstrukturen von Unterricht, Lehren und Lernen (Inputvermittlung), kann so ergänzt und erweitert werden durch ein systemisches Bild vom Lernen. Dieses systemische Bild rückt die ‚Ermöglichungsstruktur vom Lernen‘ in den Blick und trägt den komplexen Wechselwirkungsprozessen im Lehr-Lern-Prozess stärker Rechnung, in dem auch die verborgenen Aspekte im Unterricht – Gefühle, Wünsche, Ängste oder Werte von Lernenden wie auch Lehrenden – einbezogen werden.

Erst das systemische Bild umfasst die tatsächliche Komplexität, Vernetztheit und Eigendynamik von Lernprozessen. Unterrichtliche Lern- und Aneignungsprozesse wie auch Kooperationen und die dabei entstehenden sozialen Strukturen sind (bis zu einem gewissen Grad) zukunftsoffen. Sie folgen einer ‚eigenen‘, internen Entwicklungslogik. Für eine wirkungsvolle Förderung und Gestaltung ’selbstorganisierter‘ Lehr-Lern-Prozesse ist eine (in der Managementforschung entwickelte) Gestaltungs- und Lenkungsphilosophie erforderlich, die wie folgt beschrieben werden kann: „Es wird nicht auf das System eingewirkt, sondern mit dem System gearbeitet. Diesem Prinzip liegt die Absicht zugrunde, die Selbstorganisationskräfte des Systems nicht mit Gegenkräften bzw. Überzeugungs- und Überredungsversuchen in eine bestimmte Richtung zu zwingen, sondern vielmehr die Systemkräfte selbst für sich zu nutzen.“

Dies findet Bestätigung im Konstruktivismus
Im sozialen Konstruktivismus (K. Gergen) erkennen wir, dass jeder Mensch seine Wirklichkeit selbst konstruiert. Das heißt, aufgrund von bisherigen Kenntnissen und Erfahrungen werden alle Wahrnehmungen individuell gefiltert, verarbeitet und zu dem ureigenen Wirklichkeitsbild zusammengesetzt.
Wenn also jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit konstruiert, kann letztlich die Frage nach richtig oder falsch nicht beantwortet werden. Vielmehr kann sich zeigen, dass ein Verhaltensmuster in einem bestimmten Kontext passt oder auch nicht. Wenn ein Muster nicht passt, kann das gleiche Muster in einem neuen Kontext sehr wohl passen.
In diesem Sinne muss der Lehrende immer bedenken, dass seine Vorstellung einer sinnvollen Lösung auch nur seinem Kontext entspricht und er die Lösung des Lernenden kaum bewerten kann.
Lebendiges Lernen versus totes Lernen
Das Konzept des ‚lebendigen Lernens‘ stellt die überlieferten Lernkulturen/Lehrformen grundsätzlich in Frage; kritisiert werden dabei die gewollten und ungewollten ‚Effekte‘ der ‚toten‘ Lernkultur wie in unten stehender Graphik beschrieben.
Lernende (d.h. alle Menschen) besitzen ein natürliches Potential zum Lernen, das durch eine bessere Ausbildungsorganisation gefördert und entfaltet werden kann. Lernen, das auf Eigeninitiative beruht, mit Beteiligung der ganzen Person – Gefühl wie Intellekt – ist am eindringlichsten und hat den am längsten anhaltenden Lerneffekt zur Folge. Nachhaltiges und signifikantes Lernen findet dann statt, wenn der Lerninhalt vom Lernenden als für seine Zwecke relevant wahrgenommen wird.

Vom mechanistischen (toten) zum lebendigen Lernen (nach C. Rogers)

A) Missverständnisse einer mechanistischen Lerntheorie:

  • Die bloße Präsentation von Informationen durch den Lehrenden führt automatisch zum Lernen.
  • Den Lernenden kann keine Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess anvertraut werden.
  • Lernende betrachtet man am besten als manipulierbare Objekte und nicht als Per-sonen.
  • Prüfungen sind ein geeignetes Mittel, um herauszufinden, welche berufliche Qualifikationen Lernende erworben haben.

B) Ansätze eines lebendigen Lernens:

  • Relevantes Lernen schließt stets die Veränderung der eigenen Person mit ein.
  • Wirkliches Lernen ist oft exemplarisches Lernen.
  • Lernende besitzen – wie alle Menschen – ein natürliches Potential zum Lernen, das durch eine bessere Ausbildungsorganisation gefördert und entfaltet werden kann.
  • Lernen, das auf Eigeninitiativen beruht, mit Beteiligung der ganzen Person – Gefühl wie Intellekt – ist am eindringlichsten und hat den am längsten anhaltenden Lerneffekt zur Folge.
  • Nachhaltiges und signifikantes Lernen findet statt, wenn der Lerninhalt vom Lernenden als für seine eigenen Zwecke relevant wahrgenommen wird.

Ziel ist somit die Entwicklung einer Didaktik, die weniger von Wissensbeständen und deren Vermittlung ausgeht, als vielmehr nach den Vorraussetzungen der lernenden Subjekte und den methodischen Möglichkeiten einer umfassenden Kompetenzentwicklung fragt.

Die Funktion des Lehrenden ändert sich dadurch grundlegend. Eingeführt wird das Konzept eines ‚Lernberaters‘, der den Lehrenden betreut. War der Lehrende früher Unterweiser, der seine Lehre u.a. nach Prinzipien des Vormachens und Nachmachens bzw. Vordenkens und Nachdenkens strukturierte, so wandelt sich seine Rolle in Richtung eines Lernberaters. Ein Lernberater ist weniger für die Vermittlung von Wissen zuständig als vielmehr für die Beratung der Lernenden bei der Aneignung von Wissen. Hierfür ist erforderlich, dass das Wissen selbst in Aufgabenstellungen repräsentiert wird, die von den Lernsubjekten her entschlüsselbar und bearbeitbar sind. Der Lernberater macht deshalb den Lernenden Arbeitsaufträge zugänglich, motiviert sie zum selbständigen Lernen und Durcharbeiten dieser Aufgabenstellungen und berät sie bei arbeitsmethodischen und inhaltlichen Fragen. Früher hat der Lehrende nahezu alle Informationen im Unterricht vorgegeben und die Lernenden Schritt für Schritt angeleitet, während er heute viele der notwendigen Informationen selbst beschaffen lässt. Hierbei hält er sich zurück, er beobachtet den Lernprozess, steht für Rückfragen zur Verfügung, wartet ab, ob und wann er wirklich eingreifen muss, ohne allzu bereitwillig und unaufgefordert jederzeit ‚hinzuzuspringen‘, um Lernende vor Fehlern und damit auch vor eigenen Lernprozessen zurückzuhalten. Hat der Lehrende früher dazu verholfen, dass die richtige Lösung, die das Ziel des Unterrichts ausmacht, nachvollzogen werden konnten, so ist seine Rolle als Lernberater dadurch gekennzeichnet, dass er eigene Erfahrungen und Lösungen zulässt, diese ‚ermöglicht‘ und versucht, den Lernenden durch Fragen selbst den richtigen Weg finden zu lassen.“

Allein der methodische Ansatz, der den Lernenden nicht als Randelement eines Sachinhaltes sieht, sondern ihn in dem Mittelpunkt eines Prozesses definiert, führt zu Kompetenzzuwächsen im Bereich flexibler Gestaltung von Situationen und Aufgabenstellungen.

Während nämlich Lernende, die von einer toten Lernkultur geprägt werden, tendenziell eher unselbstständig und wenig problemlösungskompetent sind, bewegen sich Lernende in einer lebendigen Lernkultur selbstständig durch einen selbstgesteuerten Prozess.

Hier setzt der Begriff des ‚expansiven‘ Lernens an: die Lernmotivation kommt vom Lernenden selbst, er übernimmt die Verantwortung für sein Lernen. Der Lernende will wissen, welche Bedeutungszusammenhänge einer für ihn neuen Sache zugrunde liegen und was ihm der Lerngegenstand nützt. Er lernt um der mit dem Eindringen in den Gegenstand erreichbaren Erweiterung seiner Verfügungsmöglichkeiten über die Welt bzw. seiner Lebensqualität willen. Wesentlich dafür ist die Entwicklung der Fähigkeit, Beziehungen zu erkennen, um selbst in Beziehung mit den Lerngegenstand treten zu können. Dies erfordert ein hohes Maß an ordnendem Denken. Methodisch führt dies zu einer dialogischen Lernform, in der Meinungen anderer geachtet, selbst gedacht, analysiert und verworfen bzw. gemeinsam entwickelt werden.
Die emotionale Dimension der Lehr-Lern-Prozesse ist dabei der eigentliche tragende Aspekt des Lerngeschehens. So wichtig ein Wissen über Modelle des Lehrens und Lernens ist, so wenig können sie in das eigene Handeln integriert werden, wenn sie nicht auf ein Gefühl der Zustimmung und des Interesses stoßen und damit die Motivation zur aktiven Gestaltung einer humanen Lernkultur liefern. Fehler können so zum notwendigen Ausgangspunkt weiterer Lernaktivitäten werden.

Angewandt auf die Praxis erfordern die heutigen unberechenbaren Rahmenbedingungen sprunghaft wachsende Anforderungen und steigende Komplexität an Kommunikations- und Führungsaufgaben von Führungskräften und Mitarbeiter – Fertigkeiten, die weit jenseits technisch erlernbarer Methoden liegen. In immer stärkerem Maße treten nämlich Anforderungen an Grundmerkmale einer gereiften Persönlichkeit in den Vordergrund, die dem einzelnen Menschen Stabilität, Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft verleihen und es ihm ermöglichen, effizient auch mit Situationen umzugehen, für die kein Erfahrungswissen abgerufen werden können.

Wenn es also gelingt, den Menschen in einen selbstgesteuerten Lernprozess zu bringen,

  • wird er sich leichter tun, neue Sachinhalte mit seiner Person und seinem Lernprozess in Verbindung zu bringen.
  • hat er durch den höheren Bezug zur eigenen Entwicklung weniger Ängste vor den Lernanforderungen
  • verfügt er über höhere Transfer- und Analogiekompetenz und wird Sachinhalte progressiv (wachsend) umsetzen
  • wird er mehr Kreativität und Flexibilität in der Aufgabenbewältigung entwickeln
  • wird sich seine Selbstsicherheit erhöhen, was eine günstige Voraussetzung für Erfolg darstellt (Selbsterfüllende Prophezeiung)
  • wird sich seine gesamt Leistungsfähigkeit steigern
  • wird sich ein bewusster Kreislauf aus Zuwachs-Erfolg-Selbstbewusstsein- Motivation-Leistung-Erfolg-Zuwachs ergeben
  • wird seine Neugier gefördert
  • wird er für seine eigene mentale Fitness und so auch langfristig für Gesundheit und Leistungsfähigkeit sorgen

Die Frustration der Defiziterfahrung aus herkömmlichen Lernsystemen bleibt ihm erspart – Lernen wird positiv erlebt.